Die lange angekündigte „neue linke Sammlungsbewegung“ aus dem politischen Umfeld der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und dem saarländischen Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Oskar Lafontaine, wird unter dem Namen #aufstehen am 4. September offiziell starten. Seit dem 4. August – es wird wohl nur Zufall sein, dass just an diesem Tag vor 104 Jahren die SPD ihren historischen Verrat an den Interessen der Arbeiter*innenklasse beging und den Kriegskrediten der deutschen Regierung für den Weltkrieg zustimmte – ist die Online-Plattform zugänglich und „Registrierungen“ für die „Sammlungsbewegung“ (so heißt das heute: wenn etwas unterstützt werden soll, wird sich bei einem anonymen Büro registriert) sind möglich.
Das Logo der neuen Initiative #aufstehen ist aus anderen politischen Angeboten zusammengeklaut. Es gibt in Deutschland seit ein paar Jahren die Initiative „aufstehen gegen Rassismus“, die mehrere zehntausend Unterstützer*innen hat. Sie leistet eine gute Arbeit in der Aufklärung gegen die Rechtskräfte und gegen die „Argumente“ der AfD und vergleichbarer Vereine, sie hat mehrere große Mobilisierungen gegen die AfD und die Rechten maßgeblich getragen,
Es gibt in Österreich eine Online-Plattform „#aufstehn.at“ , die weitgehend inhaltsfrei die Demokratie und das gesellschaftspolitische Engagement der Bürger*innen fördern will.
In der neuen Initiative vom Büro Sahra Wagenknechts wird das A von #aufstehen“ zusätzlich mit einem vom Bloco de Esquerda in Portugal (Schwesterpartei der LINKEN in der EL und jetzt vom neuen Bündnis um La France Insoumise) und – man sehe und staune – der bis vor kurzem in Deutschland existierenden Gruppe Internationale Sozialistische Linke (isl) entlehnten Mensch-mit-Stern-Ikon verschönert.
Die bekannten Vorbehalte
Die neue Initiative #aufstehen nennt sich zwar „Sammlungsbewegung“, ist aber ein komplett als Werbeevent organisierter Internetauftritt. Er wird zudem – weil er von Beginn an auf heftige politische Kritik insbesondere aus der eigenen Partei von Sahra Wagenknecht stieß – geradezu konspirativ vorbereitet. Nichts darf nach draußen dringen, nur ein kleiner, allen anderen unbekannter, innerer Kreis managet den Werbeauftritt.
Es wird von ca. 40 „Prominenten“ gesprochen, die am 4. September als Erstaufrufer*innen an die Öffentlichkeit gehen sollen. Bisher werden auf der Plattform 18 unbekannte Menschen mit Bild und Vornamen gezeigt, die in der Art der Fielmann-Fernsehwerbung die Notwendigkeit der neuen Bewegung erklären sollen.
Politische Aufklärung ist selten so auf den Hund gekommen.
Als Namen der „Prominenten“ sind bisher Rudolf Dressler, Alt-AfA-Kader der SPD, Marco Bülow, SPD-„Linker“ und selbst Gründer einer kritischen Plattform von SPD-Abweichler*innen, die Alt-Grüne Antje Vollmer, der Politikwissenschaftler Wolfgang Streeck und der Theatermacher Bernd Stegemann gefallen. Den Genannten wird sicher nicht unrecht getan, wenn sie als höchstens gemäßigt links-sozialdemokratisch bezeichnet werden. Sie haben alle die LINKE und ihr Erfurter Programm nicht aus persönlicher Taktik und Abwartehaltung abgelehnt, sondern aus inhaltlicher Überzeugung. Aus diesem Spektrum, auch aus den alten von Oskar Lafontaine beeinflussten SPD-Kreisen und dem für sie geschaffenen Internet-Auftritt „nachdenkseiten“ werden sicherlich noch einige weitere „Prominente“ und solche, die sich dafür halten, hinzukommen. Der Schwerpunkt der Ansprache der neuen Initiative soll, so heißt es von den Initiator*innen „auf die SPD“ gerichtet sein.
Im Zentrum der Unterstützer*innen von #aufstehen wird aber sicherlich der auf Sahra Wagenknecht fixierte Teil der LINKEN sein (dazu weiter unten) und die Unterzeichner*innen der Internetplattform „Team Sahra“. Dieses Forum ist von seiner Struktur sicher Vorbild auch für #aufstehen. Bis heute haben sich darin 25.000 Unterstützer*innen eingetragen. Es ist ein striktes Einbahnstraßenprojekt. Jede Woche werden Texte und Videos von Sahra Wagenknecht oder von ihr als gut geadelte Autor*innen verlinkt, Appelle zur Unterschrift beworben und – als Minimalaktivierung – zur Weiterverbreitung dieser Dinge aufgerufen. Unterstützung realer politischer Aktionen – von den Demonstrationen gegen die Polizeigesetze und gegen die Seehofer-Abschiebepolitik (für diese Proteste schon gar nicht!) bis zu den Erzwingungsstreiks in die Universitätskliniken oder bei Halberg-Guss – kommt dort nicht vor, höchstens nachträglich als Teil der erwähnten Reden und Artikel.
Die Einbahnstraße „Team Sahra“ ist auf verschiedenen Wegen dennoch mit Twitter, Facebook und anderen Medien verbunden. Dort toben sich Unterstützer*innen (in der Mehrzahl Männer) von „Team Sahra“ ungehemmt aus. Die breite Mehrheit der Kommentare und Posts ist hart rechts und insbesondere bei den Männern unverhohlene Sahra-Anhimmelung. Das Niveau der Beiträge lässt sich mit der Formel „Geile Frau in Scheißpartei“ zusammenfassen. Die Verantwortlichen von „Team Sahra“ unternehmen leider nichts, dieses Treiben irgendwie zu stoppen oder sich von ihm zu distanzieren.
Es ist natürlich ein Selbstgänger, dass eine wirkliche Bewegung, und sei es nur eine Sammlungsbewegung auf minimaler inhaltlicher Grundlage, nicht durch irgendein Büro und eine Werbeagentur losgetreten werden kann. Das Gegenteil wird zwar immer wieder behauptet – vom Aufschwung der „Piraten“ bis zum arabischen Frühling und den Protestbewegungen in Syrien, Iran, Nicaragua usw. – aber nirgendwo und niemals entspricht dies den Tatsachen. Bewegungen sind echte Bewegungen in der analogen Welt, auf Straßen und in Betrieben. Sie sind eindeutig auszumachen (was nicht gleichbedeutend ist mit dem Einverständnis gegenüber den dort vorgetragenen Inhalten) und sie sind auf verschiedene Weise dialektisch mit der gesellschaftlichen Gesamtheit verbunden und wirken auf diese zurück. Sie sind keine Einbahnstraßen, in der ein Büro vorgibt, was Sache und was zu tun ist.
Das gilt natürlich dann besonders, wenn die neue „Sammlungsbewegung unmittelbar auf die Partei DIE LINKE einwirken will, zu einem guten Teil sogar aus ihr selbst entsprungen ist, aber gleichzeitig als konspiratives Geheimmanöver an ihr vorbei aufgebaut werden soll. Irrwitziger geht es kaum und die selbstgemachten Startprobleme könnten kaum größer werden.
Die Konkurrenz und das Verhältnis zur LINKEN
Als rein internetbasierte Initiative, die als Einbahnstraße funktioniert und höchstens mal zu Kongressen oder Kundgebungen aufruft, ansonsten aber eine Plattform zum Konsum von durch die „Prominenz“ vorgegebenen Inhalten bleibt, steht #aufstehen in Konkurrenz zu mehreren ähnlichen Plattformen: Campact als Plattform für Petitionen aus allen politischen Themenbereichen erreicht heute Hunderttausende und ist ein Mobilisierungsfaktor bei bestimmten Demonstrationen (zum Beispiel die Kundgebungen gegen TTIP, gegen die Atomenergie oder Datenspeicherung), dessen Ausmaß eine neue Initiative kaum erreichen wird. Thematisch eingeengter, aber auf den angeblich prioritären Themenfeldern von #aufstehen schon lange unterwegs, sind Initiativen wie „fairteilen“ oder „Aufstehen gegen Rassismus“. Es gibt diverse Aufrufe zu Einzelthemen (Solidarität statt Heimat, Abrüsten jetzt, Rüstungsexport stoppen usw. usf.), die jeweils Zehntausende erreichen und ebenfalls Hilfsinstrumente bei gewerkschaftlichen Mobilisierungen oder Kämpfen der sozialen Bewegungen sind. Wohlgemerkt: Hilfsinstrumente, die realen Bewegungen ersetzen, kann keiner dieser Aufrufe und Internetplattformen.
Es sieht so aus, als ob noch niemand von den Macher*innen von #aufstehen sich bisher irgendwelche Gedanken gemacht hat, wie das praktische Verhältnis zu solchen Initiativen sein soll. Wird vielleicht nur eine bescheuerte Probe auf dem Schlachtfeld gesucht, frei nach dem Motto, wer das meiste Geld hat, wird die anderen schon zur Seite drücken? Apropos Geld: Es ist auch an der Zeit, dass #aufstehen Transparenz darüber herstellt, wie die Kampagne finanziert wird. Interessierte Medien werden sich bestimmt nicht zurückhalten, die bekannten Märchen von geheimen Finanzquellen oder gar den heute so beliebten „Russen-Connections“ zu verbreiten.
Das größte Problem hat #aufstehen aber in jedem Fall mit der Partei DIE LINKE. Alle Welt weiß, dass dieses Projekt von einem kleinen Teil der LINKEN-Spitze, namentlich die Fraktionsvorsitzende und ihr Ehemann, betrieben wird. Es wird, wie beschrieben, als Geheimprojekt gegenüber dem Rest der Partei verfolgt. Das ist eine völlig absurde Konstellation. Die Fraktionsvorsitzende betreibt ihr eigenes Spiel und wird dabei von einer Gruppe fanatischer Kofferträger*innen unterstützt. Das hat nicht nur zu einer völligen Verwerfung und Neuaufstellung der verschiedenen politischen Kräfte in der LINKEN und vor allem in der Fraktion geführt, sondern bereits jetzt auch zu einer gewissen Lähmung der Partei, vom Absturz beim Niveau der Auseinandersetzung ganz zu schweigen.
Die LINKE ist heute eine sehr stark von parlamentarischen Funktionsträger*innen und ihren Mitarbeiter*innen geprägte Partei. Der größte Teil davon erlebt die Partei als Voraussetzung, aber auch als Spiegel seiner aktuellen politischen Hauptbeschäftigung. Die Vorstellung, eine neue, bisher völlig unklare „Sammlungsbewegung“ solle die Partei in Zukunft begleiten, wird als Bedrohung aufgefasst. Aus diesem Spektrum wird #aufstehen einen hartnäckigen Widerspruch erfahren und erfährt ihn bereits. Nur ein kleiner Teil dieser Parteimitglieder mit Funktionen unterstützt „Team Sahra“ (auch wenn sie vielleicht Abonnent*innen der Website sind). Das Privatprojekt von Sahra Wagenknecht hat Anhänger*nnen überwiegend außerhalb der Partei (mit der oben erwähnten Neigung nach rechts) und bei Mitgliedern ohne Funktion in der Partei oder denen, die nur wenig integriert in das Parteileben sind
Die Initiative #aufstehen begegnet diesem schwierigen Verhältnis zur LINKEN mit zwei überwiegend falschen Legenden:
Erstens die Behauptung, der LINKEN ginge es wie SPD und Grüne schlecht, sie würde an Einfluss verlieren. Das hält natürlich keiner empirischen Überprüfung stand, wird aber regelmäßig in Interviews wiederholt.
Die zweite Behauptung ist eine fast boshafte Übertragung französischer Verhältnisse. Es wird in einer irreführenden Verallgemeinerung erklärt, die „Linke“ hätte ihren Bezug zur Arbeiter*innenklasse und den sozialen Themen verloren und diese den Rechten überlassen. Das trifft auf die PS und auch KPF in Frankreich zu, ebenso auf die SPD und die GRÜNEN in Deutschland, aber ganz sicher nicht auf die LINKE in Deutschland. Die LINKE in Deutschland ist bereits die Antwort und Reaktion auf die von Hartz-IV und Agenda 2010 auf den Kopf gestellten SPD und GRÜNE. Sie ist aus dem Widerstand gegen deren Politik entstanden und sie hat kaum andere Themen als die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und andere elementare Klassenfragen. Ihre Antworten auf diese Fragen sind leider schon arg von der parlamentarischen Fixierung der LINKEN geprägt, aber darin sind die Macher*innen von #aufstehen eher noch schlimmer als der Rest der Partei DIE LINKE.
Dieses widersprüchliche Verhältnis von LINKE und #aufstehen wird keine positive Auflösung erfahren. Einerseits wird immer wieder versucht werden, diese falschen Legenden über die LINKE irgendwie zu bestätigen. Es zeigt sich, dass darin insbesondere die Kofferträger*innen des Projektes aus der Bundestagsfraktion zu peinlichen Auftritten kommen und kommen werden. Andererseits müssen die praktischen Konsequenzen der #aufstehen-Initiative immer wieder verschleiert werden.
Das werden auch die politischen Gegner der LINKEN und von #aufstehen sowie die politische Journaille aus Berlin und anderswo genüsslich ausnutzen. Die penetrantesten Fragen, vielleicht bald sogar die einzigen, an #aufstehen werden die nach ihrem Verhältnis zur LINKEN sein. Und andersrum wird sich #aufstehen in erster Linie an der LINKEN abarbeiten, um ihre Existenz zu begründen. Gegenüber SPD und GRÜNEN wird harmonisiert und alle Widersprüche werden weggelobt, gegenüber der LINKEN wird hart argumentiert, um „zu beweisen“, dass es einer solchen neuen Sammlungsbewegung bedarf.
Es ist keine gewagte Vorhersage, dass dieser Prozess die LINKE schwächen wird, ohne einen entsprechenden Zugewinn bei #aufstehen zu erhalten.
Die programmatischen Grundlagen
Die inhaltlichen Fundamente von #aufstehen werden offiziell am 4. September verkündet. Die bisher bekannt gewordenen Konturen lassen aber ein klares Urteil zu: Es wird eine windelweiche Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus geben. Die Frage des Eigentums an Produktionsmitteln wird kaum eine Rolle spielen und die Krise des Kapitalismus wird als Versagen, als Ausrutscher, als Ergebnis falscher Regierungspolitik dargestellt, aber nicht als Produkt einer antagonistisch in Klassen gespaltenen Gesellschaft.
Das ist eine Verflachung und ein analytischer Rückschritt gegenüber dem Erfurter Grundsatzprogramm der LINKEN, die ganz sicher nicht der Stabilisierung der LINKEN dienen, sondern die Gefahr bergen, dass die LINKE an Profillosigkeit und Langweiligkeit zunehmen und in eine tatsächliche Krise schliddern wird.
Gleichzeitig wird immer wieder ein positiver Bezug zu rechten Positionen aufgebaut, nicht, um diese abzufeiern, sondern, um Kompatibilität mit linken Positionen anzudeuten.
Wir leben in einer Zeit, wo es dringend erforderlich wäre, die Unklarheiten, die sich im Erfurter Grundsatzprogramm der LINKEN befinden, im Sinne einer klareren linken Strategie zu überwinden. Das betrifft ganz stark die Fragen der internationalen Gerechtigkeit, weltweiter sozialer Rechte und davon abgeleitet die Politik mit und gegenüber Geflüchteten. Das betrifft aber auch die Frage des Verhältnisses zur Europäischen Union. Last but not least drängt sich auch die Frage nach dem Eigentum der Produktionsmittel in alle politischen Alltagsauseinandersetzungen, wie Verkehrs- und Energieprobleme, Mietenexplosion, Arbeitszeitverkürzung und Stress-Abbau und internationaler Klimaschutz .
Die #aufstehen-Plattform verweigert auf all das auch nur halbwegs praktisch nutzbare Antworten. Sie vertröstet auf einen „Reformprozess“, dessen bittere Resultate und praktische Unmöglichkeit ja gerade die letzten 25 Jahre überall in Europa besichtigt werden können. Jeder Betriebsrat, jede Aktivistin in einer sozialen Bewegung werden durch eine solche „Sammlungsbewegung“ nicht gestärkt, sondern werden den Kopf schütteln, warum seine oder ihre jeweiligen konkreten Anliegen nicht aufgegriffen werden.
Die programmatische Verflachung wird damit begründet, dass sie zur Entwicklung einer breiten Einheitsfront gegen Rechts erforderlich sei. Es gibt natürlich viele Unterstellungen, warum das wirklich passiert, aber daran soll sich hier nicht beteiligt werden. Das Argument, nur damit eine breite Einheitsfront gegen Rechts aufbauen zu können, ist schon für sich genommen schlicht falsch.
Der Aufschwung der Rechten ist ja gerade durch die sozialdemokratische Politik von SPD und GRÜNEN mit befördert worden. Die Agenda 2010 war kein Bruch mit der sozialdemokratischen Politik, sondern die Konsequenz daraus, dass die SPD keinen Bruch mit der kapitalistischen Logik vollziehen wollte, sondern sich dem Kapitalismus lieber bis zum eigenen Untergang verschrieben hat. Wer vom Kampf gegen Rechts sprechen will, aber den Kampf gegen den Kapitalismus und seine grundlegende Eigentumsordnung verschweigt, muss sich nicht wundern, politisch von den Verhältnissen überrollt zu werden. Das droht auch der „neuen Sammlungsbewegung“.
Breite Einheitsfront gegen Rechts und scharfe, detaillierte Kapitalismuskritik und radikale Kämpfe um Wiederaneignung (von Zeit, Geld, Würde und Zukunftshoffnung) schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig.
Zur Mobilisierung gegen Rechts und kompletten Kapitalismuskritik gehört natürlich auch, dass die in den letzten 50 Jahren nach 1968 aufgekommenen Themen wie Frauenunterdrückung, sexuelle Gleichberechtigung, Umweltzerstörung usw. auf der Höhe der Zeit aufgegriffen werden. Die ökonomistische Reduzierung auf angebliche „Brot- und Butterthemen“ der Arbeiter*innen ist unpolitisch, ein Affront gegenüber realen sozialen Bewegungen und treibt bestenfalls Spaltungen in die antikapitalistische Bewegung.
Die Potenziale in SPD und GRÜNEN
Die Initiative #aufstehen baut auf Vorstellungen der Wiederbelebung der SPD wie in den 60er Jahren und der GRÜNEN wie in 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auf. Es ist sehr freundlich, wenn diese Perspektive als völlig irreal bezeichnet wird. Beide Parteien sind komplett im neoliberalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts angekommen. Sie erklären nicht mehr, so wie früher, eine andere Politik sei zwar schön, aber leider nicht möglich, sondern sie verkaufen ihre Politik der Unterordnung unter die Gesetze des Marktes und des internationalen Konkurrenzkampfes des Kapitals als „moderne Politik“ (die auch gerne noch mal „linke Politik“ genannt wird) und sie wollen keine andere. Das Kapitel Kapitalismusüberwindung ist komplett gestrichen und vergessen.
Nur noch ältere Mitglieder und versprengte Randelemente bei SPD und GRÜNEN wollen eine reformerische, aber eine antikapitalistische Politik. Sie werden ganz sicher nicht mit einer Politik eingefangen werden, die sie auf eine Wiederbelebung der Willy-Brandt-SPD vertröstet.
Die LINKE hat sich immer als offene und plurale Alternative zur SPD und auch zu den GRÜNEN dargestellt und aufgebaut. Es gibt dazu keinen Zwischenschritt, den eine irgendwie geartete „Sammlungsbewegung“ ausführen könnte. Die Sammlungsbewegung der Linken ist die LINKE. Sie hat immer Nicht-Mitglieder in ihren Strukturen mitmachen lassen, sie hat immer politische Strömungen zugelassen.
Es wird aus dem Umfeld von Sahra Wagenknecht und ihrem Büro regelmäßig behauptet, die Wähler*innen der AfD seien gar nicht wirklich rechts. Ein großer Teil könne auch für die Linke gewonnen werden.
Der erste Teil dieser Aussage ist Unsinn, der zweite stimmt im Prinzip. Aber nur eine konsequente radikale linke Politik – die Kritik am Kapitalismus mit konkreter Widerstandsarbeit verbindet – wird Menschen, die heute ihre soziale Degradierung (und oft nur die diffuse Angst davor) und ihren Frust durch Stimmabgabe für die Rechten ausleben, für eine linke politische Oppositionskraft gewinnen können. Zurück bleiben dann immer noch die unbelehrbaren Rechten – auch die wird es geben. Ein Kapitalismus in der Krise wird stets eine politisch polarisierte Landschaft hinterlassen. Es ist Aufgabe der LINKEN, dafür zu sorgen, dass für sie in dieser Polarisierung ein großer und wachsender Platz ist.
Gretchenfrage Wahlteilnahme
Es ist natürlich völlig klar, dass die politische und organisatorische Orientierung, die sich mit #aufstehen verbindet, vollständig auf Wahlkämpfe und parlamentarische Mehrheiten ausgerichtet ist. Darin unterscheidet sich das Projekt von Sahra Wagenknecht und eines Teils der Bundestagsfraktion nicht von den Projekten des rechten, reformerischen Parteiflügels der LINKEN aus früherer Zeit. Ein Teil dieses „rechten Flügels“ hat sich ja auch mit der ehemaligen Ikone des „linken Flügels“ der LINKEN, Sahra Wagenknecht, verbündet.
Dem damals von diesem Flügel verfolgten Ziel einer „rot-rot-grünen“ Regierungsübernahme ist leider durch die bittere Realität jegliche Attraktivität genommen worden, wenn es denn jemals eine hatte. Eine Regierungsmehrheit durch ein Parteienbündnis von SPD, GRÜNEN und LINKE ist bei fast allen Wahlen seit 2009 blamiert worden, am stärksten auf Bundesebene. SPD und GRÜNE sind nicht zusammen mit der LINKEN Teil eines „linken Lagers“ in der Gesellschaft, sondern sie sind Teil der neoliberalen Einheitsregierung der letzten Jahrzehnte.
Aus der Erkenntnis dieser Tatsache will die Initiative #aufstehen die Konsequenz ziehen, nicht mehr auf ein Parteienbündnis zu setzen, sondern eine Sammlungsbewegung auszulösen, die SPD und GRÜNE quasi ersetzt.
Dieses Projekt – das habe ich eben gezeigt – ist allerdings genauso unrealistisch wie R2G.
Unglücklicherweise darf darüber aber nicht offen debattiert werden. Die äußeren Umstände und der verschwörerische Charakter ihrer Entstehung verdonnern #aufstehen dazu, unermüdlich zu beteuern, sie wolle nur eine diffuse „Bewegung“ sein, die nicht an Wahlbeteiligungen und Parteigründungen usw. denken würde. Damit wird die LINKE zunächst ruhig gehalten, Dabei weiß jedes Kind, dass ohne diesen praktischen Bezug auf Wahlkämpfe die gesamte Konzeption der „neuen Sammlungsbewegung“ nichts als am Schreibtisch ausgeheckter Blödsinn ist.
Deshalb wird bis heute und wahrscheinlich noch etliche Monate geheuchelt, was das Zeug hält, dass niemand daran denke, eine Mauer, pardon eine Wahlalternative aufzubauen.Das deutsche Wahlrecht mit Verhältniswahlrecht und dem Verbot von Listenverbindungen erschwert es zusätzlich, irgendwie zu konkretisieren, was denn an Wahlbeteiligungen geplant ist, ohne die LINKE zu zerstören. So wird also alles im Unklaren gelassen, bis es wahrscheinlich zu so starken Erosionserscheinungen bei der LINKEN geführt hat, dass tatsächlich über eine Wahlalternative nachgedacht werden muss. Das wird dann aber garantiert nicht über die zehn Prozent hinausführen, bei denen die LINKE heute in den Umfragen steht.
Praktisch würde also entweder ein Ersatz der LINKEN bei der Wahlteilnahme oder offene Listen der LINKEN herauskommen. Letzteres gibt es aber schon immer. Wie das mit „offenen Listen“ bei SPD und GRÜNEN (auch die gibt es schon) kombiniert wird, ist auch ein Rätsel.
Realistischer bleibt bei all dem, dass das Projekt #aufstehen schnell in der Versenkung verschwindet.