Das Grundeinkommen und der Klassenkampf.
Von Don Reinhard Schwark, Frankfurt am Main
Das bedingungslose Grundeinkommen lockt mit dem Versprechen, fast alle gesellschaftlichen Probleme zu lösen: Armut würde damit beseitigt, Renten abgesichert, Familien mit Kindern gefördert, Bürokratie verringert, Arbeitnehmer in Verhandlungen mit den Arbeitgebern gestärkt.
Doch ist die Bourgeoisie wirklich so selbstlos? Vermutlich nicht. Trotzdem muss ich hier auch vor einem Missverständnis, einer Nebelkerze warnen, die allzu oft noch den Blick auf diese Thematik verschleiert.
Das ist die, dass es da angeblich vor allem um den genauen Betrag eines solchen Grundeinkommens ginge: Neoliberale wollen 800 Euro, Linke 1200 Euro, und an dieser Debatte entscheide sich alles.
Das ist allerdings falsch: Auch "Neoliberale" sind gerne bereit, einen solchen Betrag zu bezahlen, siehe zum Beispiel Richard David Precht mit seinen 1500 Euro. Ich würde ihm zugestehen, dass er das ehrlich meint; ein Linker ist er aber deswegen trotzdem ganz offensichtlich nicht.
Denn die weltanschauliche Bruchlinie verläuft ganz woanders. Neoliberale wollen, dass das BGE über die von der Bourgeoisie etablierten Institutionen und über die von der Bourgeoisie etablierten Wertvorstellungen eingeführt wird. Sie wollen, dass es über nationale Parlamente geht. Sie wollen es an die Staatsbürgerschaft knüpfen. Sie wollen, dass Ausländer weniger bekommen als Inländer. Sie wollen, dass Deutsche wieder "stolz sein können auf Deutschland" und man dafür dann in Demut und Dankbarkeit darüber hinwegsieht, was vorher während der letzten zweihundert Jahre sonst so geschehen ist. Es geht um historische Deutungshoheit.
Der hohe Geldbetrag ist der Köder, und Ihr sollt da anbeißen. Was die Bourgeoisie am allermeisten fürchtet, ist nach wie vor der Klassenkampf - und genau den muss es jetzt geben. Aber ganz anders, als mancher hier vielleicht denkt.
Wer die Linken nur aus den Staatsmedien kennt, bekommt heutzutage schnell den Eindruck, es ginge da vor allem um alte Leute mit Transparenten und Trillerpfeifen, die fünf Prozent mehr Lohn fordern. Wer sich aber auskennt, weiß, dass es im Kern des linken Lebensgefühls um ganz andere Dinge geht. Nämlich um Werte. Um Werte, die stark sind, und die heute aktueller sind denn je.
Solche Werte können sein:
Weltfrieden als oberste Priorität, ohne chauvinistischen oder nationalen Begeisterungswellen auch nur einen Fingerbreit nachzugeben
- Solidarität mit allen, die unterdrückt und ausgebeutet sind. Das können Fabrikarbeiter sein, das können aber auch Pflegekräfte sein, Putzfrauen und -männer, Kindererzieher:innen, DHL-Boten.
- Konsequente und entschiedene Ablehnung von jeglichem Rassismus, auch unterschwelligem. Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung, Geschlecht - das alles darf keine Rolle mehr spielen. Nun geben auch Bürgerliche gerne mal zu all dem Lippenbekenntnisse ab, doch nur bei Linken wird das auch wirklich konsequent gelebt und aufrichtig so empfunden.
- Die Erkenntnis, dass es gesamtgesellschaftlich gesehen Überfluss gibt und nur auf individueller Ebene Armut.
- Die Erkenntnis, dass man nicht alles dem freien Markt überlassen kann, sondern es auch einen festen Rahmen um das alles herum geben muss.
Fügt gerne noch weiter an.
Während nun die Bedeutung des klassischen Fabrikarbeiters im modernen Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung mehr und mehr zurückgeht, haben die soeben aufgezählten Werte kein bisschen von ihrer Aktualität verloren, sondern sind heute sogar noch aktueller denn je.
Diese Werte sind, es was die Linke im Innersten ausmacht, darin liegen ihre Stärken. Und jetzt gilt es, dafür auch zu kämpfen: Auf neue, kreative Weise. Denn auch, wenn die Bürgerlichen dieser Welt ein bedingungsloses Grundeinkommen vielleicht endlich mal einführen (was jetzt noch nicht abzusehen ist), ist die Verwirklichung all dieser Werte ja deswegen noch kein Selbstläufer. Überhaupt nicht.
Sehr viele BGE-Aktivisten - speziell die, die immer bei Podiumsdiskussionen auftreten - wollen nämlich vor allem einmal ein nationales bedingungsloses Grundeinkommen. Es wird dann immer darauf verwiesen, dass ja nach einer deutschland- oder EU-weiten Einführung andere Länder folgen könnten, bis es das irgendwann weltweit gibt: Doch diese Sichtweise verschafft der Bourgeoisie dieser Welt die Deutungshoheit über das Geschehen. Zudem ist noch keineswegs ausgemacht, ob wirklich die anderen Länder folgen werden, und vor allem: ob nicht einzelne Steueroasen übrig bleiben werden, in die die Reichen auch weiterhin ihr Vermögen "ins Trockene bringen" können.
Ein wirklich emanzipatorisches Grundeinkommen kann nur ein weltweites Grundeinkommen sein, ein universelles Grundeinkommen. Und wer das erreichen will, der muss sich Gedanken darüber machen, wie ein internationaler Klassenkampf für solch ein Grundeinkommen aussehen könnte.
Ich will dem hier noch nicht allzu sehr vorgreifen, nur eine Überlegung schon mal: Um einen Klassenkampf führen zu können, gilt es vor allem sich darüber klar zu werden, wer genau eigentlich die Klassen sind, um die es hier geht. Es gilt, sich von alten Klischeevorstellungen zu lösen und eine zeitlose, in unser einundzwanzigstes Jahrhundert hineinpassende Definition davon zu erarbeiten.
Und kurz gesagt, gehören all diejenigen, die oben genannte Wertvorstellungen teilen, zu "unserer" Klasse, diejenigen hingegen, die sie nicht oder nicht aus vollem Herzen teilen, zur anderen Klasse. Menschen, die gegen Rassismus sind, die zueinander solidarisch sind, die die Würde des Menschen über alles achten, die nenne ich "sozialprogressiv". Menschen, denen das alles nicht so wichtig, die abends lieber Fußball gucken oder ins Theater gehen statt sich für Gerechtigkeit und Solidarität zu engagieren, die nenne ich "sozialkonservativ". Denn die einen wollen, dass sich die Menschheit weiterentwickelt, die anderen wollen sie so beibehalten, wie sie heute ist.
Sozialkonservativ können auch Sozialisten sein, wenn ihnen zum jetzigen Stand der Dinge nichts anderes einfällt, als an kleineren Stellschrauben im Rahmen des jetzigen Systems zu drehen oder über Veganer als Lifestyle-Minderheit herzuziehen. Und manche Konservative, die gerne Eisbein mit Sauerkraut zu Mittag essen oder einen Fliesentisch im Wohnzimmer stehen haben, können trotzdem sozialprogressiv sein, wenn sie das Herz am rechten Fleck haben und die gemeinsame Sache unterstützen.
 
(Wir erhielten den Text vom Autor zur Veröffentlichung)