Judäische Volksfront oder Volksfront von Judäa?
Leider versteht bis heute jedeR politisch Aktive, die/der den Film „das Leben des Brian“ schaut, sofort, wer oder was damit gemeint sein könnte. Immer wieder „beschimpfen“ sich politische Tendenzen der Linken gegenseitig. Gerne werden „analytische“ Etiketten wie „OpportunistIn“ oder „SektiererIn“ aus der Mottenkiste der politischen Kommunikation gebuddelt und mit oft ja sogar stichhaltigen Argumenten untermauert. Wer hat sich das noch nicht anhören müssen, wenn er schon ein paar Tage in bolschewistisch-leninistischen Kreisen verkehrt? Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon selbst in selbige Mottenkiste gegriffen? Ich habe es getan. Die einen haben Angst, sich von den politischen, gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen, die im Moment ja nicht gerade radikal und auch nicht verallgemeinert stattfinden, zu isolieren und versuchen einen möglichst verständlichen Übergang zu revolutionären Konzepten zu entwickeln. Die anderen haben Angst, dass unsere gemeinsamen Ideen unter dem Druck der kapitalistischen Ideologie und ihrer VertreterInnen in der ArbeiterInnenbewegung verwässert werden bis hin zu einer zentristischen oder offen reformistischen Praxis. Beide Ängste sind ja irgendwie berechtigt, verständlich, nachvollziehbar. Ich gehe allerdings weder bei den GenossInnen der GAM noch der ISO, noch der SAV, noch des Funken, Lernen im Kampf - oder wie sie alle heißen - davon aus, dass ein Mangel an Willen für Ihre Entscheidungen verantwortlich ist. Ich gehe davon aus, dass sie A die Abschaffung des Weltkapitalismus durch die Machtergreifung des Weltproletariats anstreben und B das aus ihrer Sicht z.Zt. Beste dafür tun wollen, diese Ideen zu verteidigen und in genau diesem Weltproletariat zu verankern. Wenn dies all diese Tendenzen erst einmal genau so sehen und verinnerlichen würden, wären wir dem Ziel einer breiteren, demokratischeren und solidarischeren Diskussionskultur schon einen wesentlichen Schritt näher, die wir ja alle gegenüber bürokratischen Tendenzen in der Linken, den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen zurecht einfordern.
Selbst wenn nun Menschen, die sich auf unsere gemeinsamen Traditionen berufen, tatsächlich Illusionen in die Reformierbarkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft hätten, würden wir diese – wie bei einem/einer „ganz normalen“ ArbeiterIn auch – nicht durch noch so kluge Schriften wegdiskutieren können, sondern müssten im gemeinsamen Kampf und in gemeinsamen politischen und solidarischen Diskussionen darauf eingehen.
Es gibt für mich an dieser Stelle zwei grundlegend unterschiedliche Reformismen: Den Reformismus der FunktionärInnen, die Bewegungen bewusst auf den Holzweg führen, um eine Verallgemeinerung von Kämpfen zu verhindern, ihre eigenen Privilegien in der bestehenden Gesellschaft zu verteidigen und damit auch die bestehende Gesellschaftsordnung selbst, und den in irgendeiner - wenn auch oft abgeschwächten - Weise kämpferischen Reformismus, der reale Verbesserungen zu erstreiten sucht und sich im Extremfall sogar immer noch mit dem Gedanken trägt, der Sozialismus könne mit Reformen in der Salami-Taktik erreicht werden. Es gibt sicher auch Zwischenformen und Übergänge, die man sich genau anschauen muss. Reformistische Vorstellungen verschwinden nicht durch das postulieren leninistischer Allgemeinheiten sondern nur im gemeinsamen Kampf der ArbeiterInnenklasse und der Jugend für reale Verbesserungen. Nur in diesen Kämpfen erleben Menschen A die gemeinsame Kraft der Klasse und erhalten auch das nötige Vertrauen, dass die „Diktatur“ des Proletariats auch eine „Diktatur“ der Mehrheit der Bevölkerung werden kann, und stoßen gleichzeitig an die Grenzen der Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems. Sollte es also tatsächlich auch in Organisationen, die sich auf unsere gemeinsamen Traditionen berufen, solche Illusionen geben, wären auch diese nur auf eben dem beschriebenen Wege zu bekämpfen.
An sich finde ich die herrschende anarchische Arbeitsteilung der trotzkistischen Organisationen nicht so schlimm. Die einen kümmern sich um Jugendliche, die mit der verstaubten Praxis der traditionellen ArbeiterInnenbewegung nichts anfangen können, die anderen um ArbeiterInnen, die im wesentlichen politisch nicht vorbelastet sind und beginnen ihre Interessen gegenüber den Herrschenden durchsetzen zu wollen. Wieder andere analysieren und geben hilfreiche Denkanstöße. Gemeinsame Organisationen würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Selbstzerfleischung untergehen. Wenn jede Tendenz mit der von ihr beschlossenen Taktik Menschen für die Ideen des Marxismus gewinnt, haben wir alle momentan mehr davon. Ich plädiere allerdings dafür einander ernster zu nehmen, einander zuzuhören, die Gründe des Handelns anderer RevolutionärInnen zu analysieren und diese, auch dann zu akzeptieren, wenn man das eine oder andere anders sieht. Dies kann uns darf uns natürlich nicht an einer ehrlichen aber solidarischen Kritik hindern. Das Schlimmste, was uns dabei passieren kann, ist, dass wir etwas voneinander lernen.
Das menschliche Gehirn ist eine Art biochemischer Computer – an dieser Stelle bitte kein wissenschaftlicher Disput – und kann folglich auch nur die Informationen verarbeiten, die es bekommt. Da niemand von uns alle notwendigen Informationen bekommen kann, die ihm die absolute Wahrheit eröffnen, sind wir als bekennende MaterialistInnen aufeinander angewiesen, zumal Informationen, die von GenossInnen anderer Tendenzen kommen, letztendlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlässlicher sind, als das, was uns die Herrschenden als Wahrheiten vorsetzen. Den besten Weg zur Umsetzung unserer gemeinsamen Ziele werden wir folglich nur in einem gemeinsamen solidarischen Disput finden.
Zur Frage der Ausdrucksweise fasse ich noch einmal zusammen: „OpportunistInnen“ sind diejenigen, die zu ihrem eigenen Vorteil den Herrschenden in den Allerwertesten kriechen. „SektiererInnen“ haben ein völlig geschlossenes Weltbild und brauchen dazu keine Realitäten, keine außerorganisatorischen sozialen Kontakte und letztendlich keine ArbeiterInnenklasse. Der Rest von Euch hat das schwere Schicksal zu tragen, von mir als GenossIn betrachtet zu werden.
Saarbrücken, den 14.2.2019
Peter Narog