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Erfreuliches aus Ungarn.
Die Protestkundgebungen in Ungarn waren über die Feiertage nicht abgerissen, zahlreiche kleinere fanden statt, mit der Großkundgebung in Budapest am Samstag den 5. Januar setzten die Proteste massiv erneut ein, aber Budapest stand nicht allein da, die angeblich so reaktionäre Provinz bewegte sich ebenfalls: an neun weiteren Orten gingen an dem Tag die Leute auf die Straße, darunter in solchen, die sich in letzter Zeit ruhig verhalten hatten, wie etwa – interessantes Beispiel! – im südlich gelegenen Pécs.


Auf zwei Ebenen stellte die fortgesetzte und intensivierte Straßenpräsenz etwas qualitativ Neues dar: auf der Ebene der Ausweitung der Themen, und auf der der Radikalisierung - wenn man das so nennen will – und der Neukonfigurierung des vielförmigen politischen Akteurs.


Allen gemeinsam war Unmut, waren gesteigerte Emotionen, ja es fand sich ein Element des Widerständig-Rebellischen (allerdings werden die in der oppositionellen Presse verwendeten Wortprägungen „Rebellion“ und „Widerstand“ ähnlich beschwörend und übertrieben eingesetzt wie bei den österreichischen Protestkundgebungen gegen Schwarz-Braun, oft geraten sie zu einem farcenhafter Aufguß des Vergangenen, auch von Italien muß man das sagen, wo Massenkundgebungen gegen Berlusconi gleich als „neuer Widerstand“ etikettiert wurden).


Die Mobilisierung richtete sich zunächst gegen die Zwangsausweitung der Überstunden auf 400 pro Jahr, die mit unglaublichen Konzessionen an die Arbeitgeber verbunden ist, die diese zumeist wohl abgepreßte Mehrarbeit (1) erst nach 3 Jahren vergüten müssen, und zweitens gegen die Einrichtung einer politischen Sondergerichtsbarkeit, die sich zahlreiche Agenden der bisherigen Behörden aneignen und direkt dem Justizminister, mithin der regierenden Politik, unterstellt sein wird. Auch Grund genug für Unmut. Die mit Letzterem verbundene einschneidende Ausdünnung der Gewaltenteilung spielt ein nicht unwesentliches Moment und wird von zahlreichen Kritikern scharf angegriffen. Das Überstundendiktat aber trifft direkt ins Herz der Lohnabhängigen!


Über diese zwei Anfangsthemen geht die Bewegung aber inzwischen weit hinaus: die Gewerkschaften stellen grundsätzliche Forderungen in bezug auf die Arbeitswelt, die oppositionellen Parteien andere, mit der Arbeitswelt nicht verbundene, die Bewegungen kämpfen (unter anderem) gegen die völkische Ideologisierung von Schule und Universität – was sich besonders im Geschichtsunterricht niederschlägt – sowie den Staatsrassismus, und die radikale Linke darüber hinaus seit neuestem für einen gemeinsamen Kampf des Proletariats und der Wissensarbeiter.


Und hier sind wir schon bei der zweiten Ebene angelangt, der der Neukonstellation der sozialen Akteure. Sie findet in unterschiedlicher Weise in sechs Bereichen statt.


Parteienopposition.


Im Bereich der institutionellen Opposition. Dort zeichnet sich ein gewisses Zusammenrücken ab, dazu sind zu rechnen die Sozialdemokraten (MSZP, Magyar Szocialista Párt, „Ungarische Sozialistische Partei“), die aus der Sozialdemokratie entsprungene Neo-Variante Demokratikus Koalíció („Demokratische Koalition“), die von der Linken seit jeher distanzierte, seit 2009 existierende Grünenpartei LMP (Lehet Más a Politika, „Politik kann anders sein“), das Párbeszéd („Dialog“, eine linke Abspaltung von der LMP), die Liberálisok („Liberalen“, ein Versuch, die SZDSZ wieder zum Leben zu erwecken), die neugegründete Partei Mindenki Magyarországa Mozgalom (die „Bewegung Ein Ungarn für Alle “ (2)), desweiteren das aus einer strategisch geplanten, populär-populistischen und erfolgreichen Unterschriftenaktion entstandene Momentum (das im Parlamentarismus mitwirken will und das mit dem britischen Momentum nichts zu tun hat); und martialische Kampfaufrufe gibt stets die faschistische Jobbik von sich, die sich mit dem bürgerlich-institutionellen Mitte-Links-Bereich die Rednertribünen teilt.


Mitinstitutionell“ ist hier gemeint:: die parlamentarische Opposition, aber auch Kräfte, die (noch) nicht im Parlament vertreten sind, weil sie die in Ungarn geltende 5%-Hürde nicht geschafft haben.

Das Tandem Párbeszéd (PB, „Dialog“) und MSZP hatte schon bei den letzten Wahlen ein Bündnis aufgestellt: was ihr Sozialprogramm betrifft, sind sie sich also einig, andere haben eine mehr oder weniger starke Affinität dazu. Der Kampf gegen die Zerstörung des Arbeitsgesetzes steht im Mittelpunkt, ist allen gemeinsam. Nun gälte es auch, um diese Forderungen herum gemeinsame Kandidaten aufzustellen, wenn man denn auf der Ebene der parlamentarischen Wirrsal etwas bezwecken möchte.


Mit oder ohne Jobbik? Mit PB/MSZP wird eine breite, Jobbik inkludierende Allianz nicht gehen. Jobbik ziert sich ja auch vor einem umfassenden, die Opposition „sammelnden“ Projekt (összefogás, Sammlung, ist hier das - ansonsten nicht trostlose - Schlagwort, das ein wenig an das französische rassemblement gemahnt, das hier wie dort auch von klassenneutralen wie rechten Kräften gebraucht wird). Aufgabe eines solchen Projekts sollte es sein, die Fidesz auszuhebeln, aber die Anschleimerei der LMP-Grünen an die faschistische Rechte wirkt widerlich (3).


Bewegungsopposition.


Der gesamte Parteienbereich legt also eine schärfere Gangart ein und reißt das Ruder der Bewegung an sich, kann aber nicht vermeiden, daß er seine Öffentlichkeitsmacht mit den Bewegungen teilen muss.


Zwei der wertvollsten Bewegungen/Initiativen stellten denn auch am 5. Januar RednerInnen auf der Abschlußkundgebung am Kossuth Tér: Die 2009 gegründete A város mindenkié („Die Stadt gehört Allen“, eine Initiative, die Obdachlose oder von Obdachlosigkeit Bedrohte unterstützt und berät und einem europaweiten Netzwerk angehört, deren bedeutendste Kraft die spanische PAH ist - Plataforma de Afectados por la Hipoteca) und die 2016 entstandene, im Schulbereich zentrale Bewegung Tanítanék Mozgalom („Ich möchte unterrichten“), die mit einer Reihe von anderen Organisationen des Bildungsbereiches eng zusammenarbeitet und bis jetzt eine große Mobilisierungskraft hat. Die Basis vergangener Bewegungen ist, wenn auch unorganisiert oder anderswo organisiert, weiterhin vorhanden: vergangene wie weiterhin bestehende Bewegungen sind, wenn sie auch nicht auf den hauptsächlich von den Parteien usurpierten Rednertribünen Platz finden, massenhaft auf der Straße präsent.



Die Gewerkschaftsopposition.


Der dritte Bereich. Gewerkschaften gibt es in großer Menge, und die gewerkschaftliche Landschaft ist auf ersten Blick, gelinde gesagt, verwirrend (4). Wenn wir auch radikale Basisgewerkschaften im italienischen Sinn erst im Ansatz orten können, so erweisen sich doch auch einige Branchengewerkschaften oder Konföderationen jetzt, im Rahmen der Neubewegung, mobilisierungswilliger als andere, preschen vor, zeigen sich, wo sie einige Zeit lang in der Versenkung verschwunden schienen (5). Eben die, die am 5. Januar auf dem großen, schätzungsweise 8000 Menschen umfassenden Demonstrationszug mit breiten Spruchbändern sichtbar waren: die Gewerkschaften aus dem Bereich Metall, Chemie, Elektrizität und Öffentlicher Dienst, daneben spielt auch die Lehrergewerkschaft PDSZ eine große Rolle, die vor kurzem aus dem rechten Gewerkschaftsverband Liga ausgetreten ist, deren Gründungsmitglied sie vor 30 Jahren war. Liga und Arbeiterräte (Munkástanácsok) sind zur „gewerkschaftlichen“ Rechten zu zählen. Wiewohl ein Teil der Liga sich doch zuletzt an die Forderungen nach Massenstreiks/einem Generalstreik angeschlossen hat.


Der Abbau des Arbeitsgesetzes, der seit Jahren vor sich geht, aber mit den letzten Maßnahmen der Regierung alle bisherigen Einzel-Konterreformen überboten hat, drängt nun auch die Gewerkschaften zu einem entschiedeneren Vorgehen. Was ist das konkrete Ergebnis?


Ein landesweiter Mobilisierungsausschuß, der schon vor Weinachten, am 19. 12., gegründet wurde (6), hat sich die Planung von Demonstrationen und Streiks mit dem Fernziel Generalstreik zur Aufgabe gemacht. Diesem Ausschuß (7) gehören drei Konföderationen an, die ÉSZT (Forschung, Lehre (8)), die SZEF (Öffentlicher Bereich, Bildung, Soziales, Gesundheit (9)) und der große MASZSZ (siehe (4) ) und insgesamt 12 Einzelgewerkschaften. Auf dem Weg zu einem eventuellen Generalstreik sind einige Zwischenstufen eingeplant, die dazu verwendet werden, der Regierung - wenn möglich -Etappenzugeständnisse abzutrotzen.


Wir sind hier bei einem zentralen Phänomen angelangt, nämlich bei der Tatsache, dass das völkisch-christliche Extremistenregime in den subalternen - hier im Sinne von kapitaluntergeordneten - Pseudovertretungen eine Dynamik ausgelöst hat, die die bisherige fügsame Rolle dieser Gebilde ins Wanken gebracht hat, und es ist nicht leicht abzuschätzen, wie weit das gehen wird. Ob sich radikalere Kräfte herauslösen werden, ob einige Branchengewerkschaften selbst „nachhaltig“ radikalisiert werden? Wir denken, daß die Betriebsgewerkschaften eine immer größere Rolle spielen werden und sich schließlich zu einem unabhängigen Netzwerk zusammenschließen könnten.


Man darf zumindest nicht unterschätzen, wie weit es bereits gegangen ist! Am 8. Januar legte der genannte Vorbereitende Ausschuß der Regierung den Forderungskatalog der Gewerkschaften vor. Der Regierung wurde eine Frist von 5 Tagen gesetzt, um der Einrichtung eines Verhandlerteams zuzustimmen. Sollte dies nicht der Fall sein, sollte zunächst ein landesweiter Warnstreik beginnen, verbunden mit Sperren von Straßen und Brücken. Aber unabhängig davon würden am 19. Januar auf alle Fälle landesweit Demonstrationen stattfinden, überdies werde es in zahlreichen Städten Blockaden geben. Die Kampfmittel wurden also schon vorsorglich geschärft. Das Ultimatum wurde erstmals am 5. Januar auf der Massenveranstaltung vor dem Parlament bekanntgegeben. (10) Es wurde inzwischen abgelehnt, weitere Teilmobilisierungen finden aber statt.


Somit war zu diesem Zeitpunkt die zerrüttete Gewerkschaftslandschaft (deren Kräfte aber bereits in den vergangenen Tagen und Wochen an einer Reihe von Blockaden und Schneckengangaktionen beteiligt waren) bereits zu einem auf ein Nahziel bezogenes einheitliches Vorgehen gelangt - das lange ausstand.


Nach der Einigung zu einer „schärferen Gangart“ bei den Bürgerlichen und Linksbürgerlichen (die Sozialdemokratie ist in letzter Zeit wieder ein wenig „sozialistischer“ geworden, zusammen mit ihrer Partnerin, dem „Dialog“), finden wir nun auch eine schärfere Gangart bei den Gewerkschaften.


Der erfolgreiche Audi-Streik in Győr aber weist, ebenso wie vergangene erfolgreiche Lohnkämpfe in Kecskemét (Mercedes) und Miskolc (Bosch) darauf hin, daß eine neue Gewerkschaftsbewegung im Entstehen ist, mithin der Anteil des proletarischen Bewußtseins an der Gesamtbewegung einen immer größeren Stellenwert erlangt.



Unabhängige Abgeordnete.


Eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielen unabhängige Abgeordnete, hier wären in erster Linie Bernadett Szél und Ákos Hadházy zu nennen. Was sind das für Leute? Sie wurden aus der - anfänglich von Cohn-Bendit gepriesenen – Grünenpartei LMP hinausgejagt, hinausgemobbt. Der Grund war, weil sie mit dem sich inzwischen wie ein Virus ausbreitenden Wahnsinn, dem Konzept nämlich, daß man, um die Fidesz zu stürzen, sich mit der Jobbik verbinden müsse, nicht einverstanden waren. Der Wahnsinn hatte auch die LMP erfaßt, ja sogar Ágnes Heller (deren liebenswürdige Gestalt au der Demonstration vom 5. 1. zu sehen war) hat diesen eindeutigen Irrweg unterstützt. … Szél und Hadházy lehnten das ab, hatten zu gehen, wurden gegangen. (3)


Wir sind hier bei einem Hauptskandal der Bewegung: Die Jobbik mischt überall mit, pflanzt sich überall auf, neben den MSZP-Fahnen der Sozialdemokratie sind auf Demos die der faschistischen Jobbik zu sehen, die Rednerliste am Kossuth-Platz umfaßt linksbürgerliche Bewegungen, reformerische und diese Faschisten – die sich stets sehr markig direkt an die (ungarische) Arbeiterklasse wenden.


Da die genannten Szél und Hadházy (11) von der sich um verstärkte Medienpräsenz bemühten LMP emanzipiert haben, haben sie nun eine Sonderposition in der Protestlandschaft erlangt und zeigen überdies, daß man Politiker und Politikerin sein kann, ohne am Rockschoß einer etablierten Partei zu hängen, etwa, wie im Fall Hadházy, mit einer umsichtig betriebenen Unterschriftenaktion, mit der der Beitritt Ungarns zur Europäischen Staatsanwaltschaft (12) gefordert wird. Praktischer Sinn ist ihm nicht abzusprechen. Die besonders in Ungarn stark ausgeprägte Personalisierungstendenz in den bürgerlichen Medien kommt diesen neuen profilierten Individuen gerne entgegen, denn auf der Suche nach Neuem will man fündig werden, und da passen die beiden sehr gut hinein. Entgegen kommt dem auch, wie gesagt, die nach wie vor weit verbreitete Skepsis gegenüber Parteien.


Nachdem Hadházy auf brutale Weise von Securities, der neuen paramilitärischen Macht in Europa, aus dem Fernsehgebäude geworfen wurde, hat er ein wenig den Status eines Märtyrers erhalten. Die ehemalige Grüne Bernadett Szél hinwiederum bedient mit ihrer Losung „Ungarn darf nicht den Kommunisten gehören, Ungarn darf nicht Orbán gehören!“ die Einstellung ihrer antikommunistischen Zuhörerschaft und das häufig bemühte Theorem der Gleichstellung von Links und Rechts, sie unterstützt aber auch - populistisch wie nützlich! – den Audi-Streik. Vielleicht wird sie noch einmal zu einer Arbeiterführerin ...



Nun die radikale Linke.


Am prägnantesten sind diese Novitäten eines „Umschwungs“ in der Gesamtlandschaft bei einer kleineren Gruppierung, bei einem neu- und umkonfigurierten politischen Lager, das quasi eine Auftaktveranstaltung zur Großdemonstration des 5. Jänner abhielt, und zwar kurz vorher auf dem Platz der Märtyrer – Vértanúk tere -, der sich ebenfalls nicht weit vom Parlament befindet, wo eine Woche zuvor das Denkmal von Imre Nagy im Morgengrauen von der Regierung abtransportiert wurde.


Hier trat, nicht zum ersten Mal, eine neugegründete „Studentische Gewerkschaft“ (Hallgatói Szakszervezet) auf, die, unter anderem mit der Losung Szabad Diák, Szabad Munkás („Freier Student, Freier Arbeiter“) für eine Zusammenführung der Kämpfe von Schülern, Studenten, Wissensarbeitern und denen des Proletariats plädiert (13). Also kein bloßes bürgerlich-radikaldemokratisches Konzept wie etwa beim - durchaus bedeutenden – Független Diákparlament („Unabhängigen Schülerparlament“), sondern ein eindeutiger Klassenaspekt. Aus dem Bereich von Bildung/Ausbildung kommt eine Reihe von Initiativen/Gruppen zu den Demonstrationen wie Szabad Oktatást („Wir fordern freien Unterricht“), Szabad Egyetem („Freie Universität“, (mit Letzteren arbeitet die Hallgatói Szakszervezet auch organisatorisch zusammen!), Occupy Oktogon (der Platz wurde im vergangenen Jahr besetzt und es wurden im Freien Vorlesungen gehalten) und der Diákblokk („Studentische Block“). Die Studentische Gewerkschaft wagt einen Sprung nach vorne, zieht andere mit sich. Angesichts der weitgehenden Diskreditierung, der jeglicher genuin sozialistische oder kommunistische Ansatz, auch seitens der kritischen und progressiven Bevölkerung, nach der Wende ausgesetzt war, haben wir es hier mit einer unbeirrten Wiedererfrischung zu tun. Der sich aber auch ältere, erfahrene Wissenschaftler zugesellen, wie András Máté, der für das Oktatói Hálózat (14) am Platz der Märtyrer sprach.


Die radikale (marxistische) Linke war auf der „Auftaktveranstaltung“ zuvörderst durch Gaspár Miklós Tamás (15) vertreten, der eine der kürzesten Reden seiner politischen Laufbahn hielt (da handelte es sich allerdings um die enge Beziehung zwischen Kommunismus und Demokratie!) (16) . Die beiden gehören zusammen wie Himmel und Erde, sagte er. Wenn schließlich die Politik für die Arbeitenden da sein wird, wird sie eine Kraft der Befreiung sein, hieß es mit für Ungarn ungewöhnlichen Worten. (17)


Die OSZD (das Streikvorbereitungskomitee) war zugegen, es sprach ein Redner des Instituts des Volksaufstandes (56-es Intézet), László Eörsi, der eine enorme Anzahl von Studien und Aufsätzen zu diesem höchst widersprüchlichen Thema, besonders auch über den damaligen bewaffneten Kampf, verfaßt hat. Präsent war die nicht allzugroße, seit 2014 bestehende neue Linkspartei (Balpárt), die wiederum in einem gewissen Verhältnis zur initiativenreichen MEBAL (Magyar Egyesült Baloldal, „Vereinigten Ungarischen Linken“) steht, einer Gruppe von marxistischen Intellektuellen, die sich nicht als Partei versteht, sondern als Basisorganisation und auch, im Gegensatz zur Balpárt, nicht Teil oder Mitglied der Europäischen Linkspartei sein möchte (18). Zu den bekanntesten Vertretern dieses Bereichs der MEBAL gehören etwa Tamás Krausz (19), Mátyás Benyik (20) oder Attila Melegh (21). Die MEBAL veranstaltet alljährlich einen Baloldali Sziget („Linke Insel“) genannten Kongreß auf einer nördlich von Budapest gelegenen Insel, die nicht mit der Margareteninsel zu verwechseln ist und deren abgehalftertem, pseudoalternativen Kommerz-Spektakel. Eine der Aufgaben dieser jährlichen Zusammenkünfte der MEBAL, an denen auch die „Munkáspárt (Arbeiterpartei) 2006“, die sich, ebenso wie die Népi Front etwas später, von der (inzwischen auf einen völkische Linie umgeschwenkten) Munkáspárt abgespalten hat, beteiligt ist, ist die Suche nach, die Ortung von progressiven Bewegungen, die auf den MEBAL-Kongressen auch stets zahlreich auftauchen. Die MEBAL, „Vereinigte Ungarische Linke“ war in letzter Zeit ein wenig von den jüngeren Generationen abgeschnitten, wie man leider sagen muß; jetzt aber, in der Bewegung, ergänzen sich die Generationen überall, wie man auch auf den Demonstrationen sieht, die öde Zeit der peer groups scheint vorbeizusein.

Zu den Novitäten der Auftaktveranstaltung zählen auch Anarchisten, die hier mit schwarz-roten Fahnen aufkreuzten. Und es kommt – via TGM – ein Gruß von den Situationisten aus Kolozsvár (Clui, Klausenburg) , die einige Thesen aufgestellt haben, die nicht jedem behagen mögen: Unter anderem fordern sie die Abschaffung der Arbeiterklasse (16).

Daß eher die Kapitalistenklasse abgeschafft werden muß, zusammen mit der politischen Kaste, das ist die Meinung der Marxisten in der radikalen Linken.









Die Provinz.



Eine solche differenzierte Landschaft gibt es hauptsächlich nur in Budapest; in der Provinz (die entsprechende Bezeichnung vidék wird im Ungarischen nicht im abwertenden Sinn verwendet, für manche hat es gar noch einen nationalromantischen Klang, es mag sie von ferne an la France profonde erinnern) übernimmt bald diese, bald jene der etablierten oppositionellen Parteien die Aufgabe, eine Kundgebung zu organisieren. Das bedeutet, daß in der jeweiligen Provinzstadt, oder am jeweiligen Ort, alle Unzufriedenen und alle demokratisch Motivierten sich der organisatorischen Erfahrung etwa der LMP oder der MSZP oder der Gewerkschaften überlassen.


Am Beispiel des 5. Januar kann dies festgemacht werden, und wir werden sehen, daß dies in der Folge ähnlich weitergeht, nämlich am 19. Januar, und den bürgerlichen und Linksbürgerlichen neue Kräfte verschafft. Einiges aus der Szenerie: In Tata, einer kleineren Stadt, 70 km westlich von Budapest, organisierte Momentum eine Protestversammlung, in Nyíregyháza (größere Stadt im Nordosten Ungarns, nicht weit von der ukrainischen wie der rumänischen Grenze), waren mehrere Gewerkschaften und oppositionelle Parteien am Werk, in Cegléd, 80 km südöstlich von Budapest, wurde die Kundgebung von der Polizei verboten, in Tapolca, nördlich des Plattensees wurde eine Demonstration von der Zweischwänzigen Hundepartei (22) angeführt, einer mit den Mitteln des Komischen und Skurrilen gegen die Regierung agierende Partei/Bewegung, zu deren Programm hier – köstlich bizarr - gehörte: „gegen und für das Sklavengesetz“ zu demonstrieren (22). Parallel zu ihren Aktionen sammelt sie – ganz im Ernst - Geld für Notleidende. In Pécs wurde den Demonstranten auf einem zentralen Platz vom Fidesz-Bürgermeister die Beleuchtung abgedreht. Sie hatten so etwas aber erwartet, schreibt die Népszava (24), und kamen vorsorglich mit Fackeln an. Vor einem Sarg, der im Kreis herumgetragen wurde, sprachen Vertreter von LMP, Jobbik und der  rechten Új Kezdet Párt (Partei des Neubeginns (24)). Zu deren Programm gehört, neben einigen sozialen Klauseln, auch „die Stärkung des Zusammenhaltes der ungarischen Nation“ (25). 2016 gegründet, ist ihr bekanntester Vertreter, wenn auch nicht Gründer, der Bürgermeister von Gödöllő (26). Von Wikipédia wird die Partei als mitte-rechts eingestuft. (25) Von Demokrata bis Magyar Idők waren denn auch alle Rechten an der Gründung dieser Partei sehr interessiert und verfolgten sie im Detail.


Vor der berühmtesten Kirche von Pécs, der ehemaligen Moschee, trat der Sprecher von Momentum auf. Diese in der letzten Zeit etwas in der Versenkung verschwundene Partei war dort Organisatorin der Kundgebung. Der Hauptsprecher aber war der 49-jährige Ingenieur Attila Péterffy, der sich mit Unterstützung von Momentum, MSZP und Demokratischer Koalition als Unabhängiger um das Amt des Bürgermeisters der fünftgrößten Stadt Ungarns bewerben will (24).


Einerseits Parteienchaos als Widerspiegelung der Warenanarchie; andererseits jedoch auch der praktische Sinn für transitorische Kräftesammlungen - tunlichst mit Ausschluß der Jobbik.


Die Zweischwänzige Hundepartei hat das Paradox begangen, als eine Kraft, die die gängige Logik und das Starre-Bestehende lächerlich macht, dennoch in die Institutionen zu gehen und sich wählen zu lassen! Allerdings sagen sie, daß ihr Geld nur von Spendenaufrufen kommt, und das ist glaubwürdig. Sie sind auch in der Provinz aktiv.


Die klarste Sicht zu den Oppositionsparteien hat der Vorsitzende der zweischwänzigen Hundepartei Gergely Kovács. Die würden, sagte er in einem Interview (27), nach 9 Jahren draufkommen, daß sie existieren. Alle kriegen von ihm sein Fett ab. Jobbik, MSZP und Gyurcsány (der Vorsitzende der ngDemokratischen Koalition). Ich will ich nicht noch einmal in die Regieru verhelfen. Die Fidesz wird man erst dann abwählen können, wenn diese Parteien nicht mehr existieren, so Kovács im Interview.


Ist hier nicht die grundsätzliche Verquicktheit, der „Schuldzusammenhang“ aller bürgerlichen Kräfte angedacht? Witz ist hohe sprengende Intelligenz.


Und dennoch auch: In der Provinz werden die herkömmlichen Mitte-Links-Parteien wie MSZP oder Demokratische Koalition, aber auch die Rechten mit ihrem Neopopulismus zu jeweiligen Gefäßen, in denen sich ein breites demokratisches Zentrum aufhält und sie sind dort genauso wichtig wie an konzentrierten Brennpunkten die sich findenden Bewegungen des konsequenten, radikalen Proletariats oder der radikale Linken, die sich in kleinen, aber gesellschaftlich relevanten Entscheidungsbereichen gruppiert.


Daß es noch oder wieder kleine marxistische Substanzen in dieser Gesellschaft gibt, ist ein Wunder, und die studentischen und Schülerorganisationen tragen auch ein wenig Antiautoritäres dazu bei. Linksradikalismus ist eine unentbehrliche Krankheit der Adoleszenz. Das Antiautoritäre muß permanent erhalten bleiben, muß gegen den Mißbrauch der Macht auf Vorrat gehalten werden.


Der Ausbildungsbereich trägt aber auch die Erfahrung der Pauperisierung bei und die Erfahrung des Demokratiebbaus in den entsprechenden Institutionen. Pauperisierung und Demokratieabbau betrifft die Welt der Lohnarbeit ebenso.


Zusammenführung der Wissensarbeiter, der manuellen Arbeiter, der Techniker. Und der Arbeiterinnen! In Pécs, so berichtet Erzsébet Nagy, die örtliche Verantwortliche der Demokratischen Lehrergewerkschaft PDSZ, veranstaltete die PDSZ zusammen mit der Metallergewerkschaft Vasas Straßensperren! (28)


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Eine vierzackige und eine fünfzackige Gabel.


Konkret bestehen zwei Forderungskataloge. Von den Gewerkschaften wurden die Forderungen, die sich auf die Arbeitswelt bezogen und auf die Pensionisten, in vier Punkten zusammengefaßt. Die oppositionellen Parteien stellten fünf Forderungen auf, vier davon betreffen weitere Bereiche, eine Forderung, Rücknahme des Überstundengesetzes, ist beiden Forderungskatalogen gemeinsam.


Etwas kürzer formuliert die 4 gewerkschaftlichen Forderungen:


  1. Neuausrichtung des Arbeitsgesetzes auf die Interessen der Arbeitenden, Rücknahme der Überstundenverpflichtung (des „Sklavengesetzes“)


  1. Den realen Lebenskosten entsprechende Löhne, Wiedereinrichtung der bisher üblichen betrieblichen Zusatzleistungen für die Arbeitenden („Cafeteria“) (29), Neuordnung der Löhne im öffentlichen Bereich


  1. Neuregelung des Streikgesetzes, einen echten Dialog, vorherige Absprache bzw. Einigung bei gesetzlichen Veränderungen, die die Arbeitswelt betreffen


  1. Flexiblere Pensionsregelungen Neufassung der Regelungen für die Frühpensionierung, eine substantielle Unterstützung von Personen mit verminderter Arbeitsfähigkeit. (30)


Die Forderungen von (in alphabetischer Reihenfolge) DK, Jobbik, LMP, Momentum und Párbeszéd (Dialog):


  1. Sofortige Rücknahme des Sklavengesetzes

  2. Reduzierung der Überstunden bei der Polizei

  3. Unabhängigkeit der Justiz von der Politik

  4. Anschluß an die Europäische Staatsanwaltschaft

  5. Unabhängige öffentliche Medien, in diesem Zusammenhang wird der Rücktritt des „Nachrichtenfälschers“ Dániel Papp gefordert. Papp ist Chef der gigantischen staatlichen Medienholding MTVA. (31)


Der Staat schlägt plump zurück.


Ein kalte Abfuhr erhielt die gewerkschaftliche Opposition auf ihre vier Forderungen und ihr Ultimatum. Die Regierung denkt nicht daran, ein Verhandlerteam aufzustellen, und vom Finanzminister Mihály Varga kam, wie die Regierungszeitung Magyar Idők („Ungarische Zeiten) berichtete, die ausweichende Antwort, es sei Sache der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, im Rahmen von bereits 2011 eingesetzten Ausschüssen zu einer Einigung zu kommen, hier gäbe es die Möglichkeit für einen gesellschaftlichen „Dialog“ (32).


Dialog mit Fidesz?


Die Mérce-Journalistin Diószegi-Horváth bemerkt hierzu fein: „Indem Varga mit seiner Antwort die Einigung auf Arbeitgeber und Gewerkschaften ablädt, sagt er im Grunde genommen, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die ungarischen Arbeiter den Multis ausgeliefert werden.“ (32) Klingt hier der Verlust des Vertrauens in die Gewerkschaften heraus?


Stellungnahmen zu den konkreten Forderungen kommen von der Regierung nicht, aber mit einem gewissen Zynismus weist Varga darauf hin, daß die „Modifizierungen in puncto Arbeitszeit den Richtlinien der EU entsprechen“. Das stimmt auch, die EU schraubt den Rahmen hinauf, wo sie nur kann! (33) Mit der Festlegung dieser Kriterien (insbesondere der Obergrenze von 48 Stunden pro Woche) und den zahlreichen Ausnahmen, mit denen diese Obergrenze durchlöchert werden kann wird sonnenklar, daß wir es mit einer „arbeitnehmer-„feindlichen EU-Politik zu tun haben, die die jeweils nationale arbeitnehmerfeindliche Politik schützt und unterstützt. Orbán ist nicht nur der Sklave der NATO.


Varga weicht auch den Forderungen nach einer Umgestaltung des Streikrechts aus, es habe ja bisher keine Vorschläge dazu gegeben. Die Instanz, in der diese Vorschläge vorgebracht werden könnten, lehnt er aber ab! Der Minister empfiehlt in diesem Zusammenhang zwei Gremien, in denen schon mehrmals die Interessen der Lohnabhängigen keine Beachtung fanden. Da handelt es sich um den „Nationalen Wirtschafts- und Sozialrat“ und um das unternehmernahe „Ständige Regierungsforum für Wettbewerb“. Varga würde damit Scheinverhandlungen anpreisen, meint die Autorin. Auf der Facebook-Seite der Metaller findet sich die Stellungnahme der Regierung in voller Länge.




Gegenschläge, Veränderung im Kräftefeld.



Die Demokratische Lehrergewerkschaft PDSZ berichtet, daß über das Vorbereitungstreffen hinaus am 11. 1. 2019 ein eigener Streikausschuß gegründet wurde (34), parallel dazu organisierte das Vorbereitungskomitee bereits am 19. Januar landesweit zahlreiche Demonstrationen. Inzwischen entstanden Streikkomitees an mehreren Orten, wie Tamás Szűcs, der Vorsitzende der PDSZ bereits am 14. 1. im Sender ATV bekanntgab (35).

Eine genaue Charakterisierung der Kundgebungen des 19. Januar steht hier noch aus und ist einem Folgebericht vorbehalten; auffällig ist jedoch, daß die Rolle der Hauptstadt bei der Mobilisierung des 19. Januar abgenommen hat (man kann sich des Vergleichs mit Frankreich nicht erwehren!), im Gegensatz dazu hat die Mobilisierung in kleineren Städten und an kleineren Orten zugenommen. Die Häme der Regierungsmedien ergießt sich über die schwache Beteiligung an den in Budapest insgesamt vier geplanten und durchgeführten Blockaden, wobei oft falsche Zahlen genannt werden, was zum Regierungsgeschäft gehört; aber daß in gewissem Sinn ein Ausgleich zwischen Budapest und „Provinz“ geschaffen wurde, daß das Interesse am Widerstand, wenn auch am Lande vorerst von bürgerlichen oder milde reformerischen Kräften angeführt, sich landesweit geltend macht, ist ein gutes Zeichen.


Verhöhnt wird von der Rechten die Forderung nach einem Generalstreik, der im Programm des Vorbereitungskomitees enthalten ist, aber aufgesplitterte, vorgreifende, an mancherlei Orten einsetzende Einzelaktionen begannen schon vor dem 19. Januar.


In puncto Streiks sind zwei der am stärksten betroffenen gesellschaftlichen Sektoren hier am aktivsten: Die extrem unterbezahlten Arbeiter und Arbeiterinnen des öffentlichen Bereichs und die Arbeiter der Autofabriken.


Die Gewerkschaft der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst (MKKSZ) (36) droht für den 14. März mit einem landesweiten Streik, sollte es bis dahin zu keiner Einigung kommen. Etwa 17.000 Beschäftigte der lokalen Verwaltung haben seit 11 Jahren keine Gehaltserhöhung mehr bekommen. (37)


Die Arbeiter von Audi Hungária in Győr haben, stellvertretend für die ganze, das Land im eisernen Griff haltende, hauptsächlich deutsche Autoindustrie, nach einem zweistündigen Warnstreik zu einem einwöchigen Streik aufgerufen, der am Donnerstag den 24. 1. um Uhr früh begann und am 31. Januar um 6 Uhr früh zu Ende ging. Nicht nur die IG Metall hat sich solidarisch erklärt, sondern auch die Belegschaft anderer Audi-Filialen wie Wolfsburg, Ingolstadt, Bologna (Stand 24. 1. 2019), sowie die slowakischer, tschechischer und polnischer Fabriken (38).


Der Streik, der gewonnen wurde, war ein ungeheurer Erfolg, und es zeichnet sich jetzt schon ab, daß er in Ungarn andere Mobilisierungen mit sich ziehen wird. Da dieser Streik bei Audi in Győr von einer unabhängigen und von keiner Konföderation abhängigen betrieblichen Einzelgewerkschaft geführt und zu Ende geführt wurde, ebenso wie der erfolgreiche Streik vor einigen Monaten bei Bosch in Mikolc, bei dem ebenfalls eine Lohnerhöhung erkämpft wurde, von einer unabhängigen Gewerkschaft geführt wurde, mag man hier, angesichts dieser beginnenden neuen Kampfbereitschaft und Neustrukturierung der Entscheidungskomptenz, den Beginn eines von den Lohnabhängigen ausgehenden Widerstandszyklus nicht nur gegen die Orbán-Regierung, sondern auch gegen die Staatsgewerkschaften ausmachen. Hiermit träte praktische Arbeiterdemokratie ins Zentrum der Bewegung.




  1. Entweder man gerät durch den Arbeitgeber unter Druck, oder man gerät wirtschaftlich unter Druck: in beiden Fällen wird man gezwungen, bis zur Erschöpfung weiterzuarbeiten.



  1. Die nicht mit einem poujadistisches oder qualunquistisches Modell in Eins zu setzen ist; sozial-national wollen sie Kossuth-Zirkel überall im Lande einrichten. Eine der wenigen, die zumindest etwas organisatorisch Weiterführendes und Kapillares vorschlagen. Allerdings ist das Kossuth-Projekt ein wenig funktionalisiert in Richtung Basis-Abstimmung für parteienübergreifende Kandidaten, funktionalisiert in Richtung Wahlen.


(3) Sehr prägnant schildert die Involution der LMP der deutschsprachige Pester Lloyd (den man unbedingt regelmäßig lesen sollte, auch sein Archiv) er schildert auch, an Hand von Zitaten die außergewöhnliche Wendigkeit und Schlagfertigkeit, politische Treffsicherheit der Bernadett Szél, die immerhin bei der Humanistischen Bewegung begann („Bernadett Szél“ https://en.wikipedia.org/wiki/Bernadett_Sz%C3%A9l), möglicherweise dort schon früh in die Lehre ging.


Zum Thema des Rechtsdralls der LMP unbedingt zu lesen: Zur Klage der Nation: Die nationale Metamorphose der einst grünen LMP in Ungarn, Pester Lloyd 15. 2. 2017 http://www.pesterlloyd.net/html/1707klagedernationlmp.html


Und: "Parteien des 21. Jahrhunderts": Ungarns “Grüne” kooperieren mit Neonazis, Pester Lloyd, 23. 9. 2018

http://www.pesterlloyd.net/html/1839lmpjobbik.html


Solche Artikel sind von einer wohltuenden, erkenntnisreinigenden Schärfe!


(4) Ein grobes Raster: Der MASZSZ (Magyar Szakszervezeti Szövetség, Ungarischer Gewerkschaftsbund) entstand 2014 aus einem Zusammenschluß der MSZOSZ, Nachfolgerin der Monopolgewerkschaft der sozialistischen Ära, der ASZSZ (Autonóm Szakszervezetek Szövetsége, Konföderation der Autonomen Gewerkschaften (Arbeitnehmer im Versorgungs- und Transportsektor sowie in der chemischen Industrie, siehe (5)) und dem SZEF (Szakszervezetek Egyettműködési Fóruma, Gewerkschaftliches Kooperationsforum (für den öffentlichen Dienst)).


Dann teilt man die Gewerkschaften ein in solche, die aus dem alten sozialistischen System kommen, und die Wendeneulinge, die sich zumeist das Attribut „demokratisch“ zulegten, so die „Demokratische Lehrergewerkschaft“ (PDSZ, Pedagógusok Demokratikus Szakszervezete). Einige der „Demokratischen“ sind flinker und springen schneller auf den Zug auf als die Trägeren, die PDSZ zum Beispiel. Letztere hat in der Bewegung inzwischen beinahe eine Vorreiterrolle erhalten, zumindest „prescht sie vor“ mit Solidaritätskundgebungen aber auch mit Straßensperren, die sie gemeinsam etwa mit der Metallergewerkschaft (Vasas) abhält.


Links-rechts: Linksreformerisch bis opportunistisch ist das eine Lager, rechts das andere. Zu letzterem gehören der Gewerkschaftsverband Liga und die Arbeiterräte (Munkástanácsok), die während des Volksaufstandes und auch noch einige Zeit danach eine durchaus progressive Rolle innehatten. Die Arbeiterräte sind nun zu einer Orbán-Gewerkschaft verkommen.


(5) Lebhafte Skizze (aber von 2013): Ungarns Gewerkschaftslandschaft

in Bewegung: Der Versuch einer Konzentration der Kräfte


https://library.fes.de/pdf-files/id-moe/10165-20130807.pdf

(6) Gulyás Erika: Sztrájkelőkészítő bizottságot hoztak létre a szakszervezetek, Népszava, 19. 12. 2018

https://nepszava.hu/3019218_sztrajkelokeszito-bizottsagot-hoztak-letre-a-szakszervezetek

(7) Országos Sztrájkelőkészítő és Demonstrációszervező Bizottság (Abkürzung OSZD, „Landesweiter Ausschuß zur Vorbereitung von Streiks und Organisierung von Demonstrationen“)

(8) Értelmiségi Szakszervezeti Tömörülés (wörtlich: „Gewerkschaftlicher Block der Intellektuellen“, vertritt „Arbeitnehmer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ (vgl. (5)), Abkürzung ÉSZT)


(9) Szakszervezetek Együttműködési Fóruma („Gewerkschaftliches Kooperationsforum“, Abkürzung SZEF, vertritt „öffentliche Bedienstete im Gesundheitsweisen, in Sozialdiensten, im Bildungswesen (außer Hochschulen und Forschungseinrichtungen) sowie in der Kommunal- und Zentralverwaltung“ (siehe (5))


(10) siehe u. a.: Öt napot adnak a kormánynak a szakszervezetek, Magyar Hang, 8. 1. 2019 https://magyarhang.org/belfold/2019/01/08/ot-napot-adnak-a-kormanynak-a-szakszervezetek/


(11) Diese Leute, diese Politikerprofile, haben oft eine recht bewegte Vergangenheit hinter sich: Hadházy war früher, von 2006 bis 2013, kommunaler Abgeordneter der Fidesz (!) in Szekszárd, einem berühmten Weinort. Aber er deckte dort eine schmutzige, korrupte Verteilung von Verkaufsstellen von Tabakwaren, also einträglichen Ämtern, an politische Freunde der Fidesz auf, das brach im das Genick in der Fidesz, und er trat zur LMP über. Von dort wieder aus. Das sind oft die besten Leute, die sich von niemandem etwas sagen lassen, aber doch, an den Orten, an denen, wenigstens praktisch-pragmatisch, etwas zu tun ist, sich – vorübergehend - einbringen.

Scheinbare Inkonstanz? Es springt eher Beständigkeit heraus. Und es bedeutet nicht, daß man die politische Intelligenz, woher sie auch, im Vollzug eines Versuchs, kommen mag, unterschätzen muß - besonders in ihrer Nützlichkeit für die kritisch-demokratische Widerständigkeit gegen ein extrem autoritäres Regime. Die Linke hat sich mit der konsequenten Demokratie zu verbinden, besonders in Ungarn.

12) Aufgabe der Europäischen Staatsanwaltschaft werden in der Hauptsache Ermittlungen gegen Finanzdelikte sein, die zum Schaden des EU-Budgets gehen, hier unter anderem – was ja Ungarn besonders betrifft! – die Veruntreuung von Fördergeldern.

Europäische Staatsanwaltschaft“, https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Staatsanwaltschaft

Prägnant zusammengefaßt: Europa soll einen eigenen Staatsanwalt bekommen, Die Welt, 17. 7. 2013

https://www.welt.de/wirtschaft/article118135961/Europa-soll-einen-eigenen-Staatsanwalt-bekommen.html

Davon erhofft sich Hadházy eine zusätzliche Möglichkeit, die Regierung von „außen” zu bekämpfen. Gleichzeitig eine weitere Einübung in den Europäismus!

(13) https://www.facebook.com/hallgatoiszakszervezet/

Zur Hallgatói Szakszervezet auf deutsch: Daniel Kerekeš: Was steckt hinter den Protesten in Ungarn? – Im Gespräch mit Nora Erösi,11. 1. 2019

https://diefreiheitsliebe.de/balkan21/was-steckt-hinter-den-protesten-in-ungarn-im-gespraech-mit-nora-eroesi/

Der Name dürfte hier wohl fehlerhaft wiedergegeben sein: Vorname Nóra, Familienname richtig Eörsi (ausgesprochen: örschi).

(14) Oktatói Hálózat (OHA, Netzwerk der Hochschullehrer), nach Eigendefinition „Autonome Organisation von Lehrern und Forschern im Hochschulbereich“ (

https://www.facebook.com/pg/oktatoihalozat/about/?ref=page_internal

Die OHA zählte zum Zeitpunkt 22. 1. 2019 555 Mitglieder, darunter, stellvertretend: Zsuzsa Ferge, Ágnes Heller, Tamás Krausz, Attila Melegh, András Máté (http://oktatoihalozat.hu/tagjaink/).

(15) TGM ist die populäre ungarische Abkürzung für diesen allseits gefragten Marxisten/Libertären/Rebellen/Theoretiker: Tamás Gáspár Miklos, der Familienname wird im Ungarischen an den Anfang gesetzt, im Deutschen müßte es heißen: G. M. Tamás.

(16) Seine Artikel werden dahingegen in letzter Zeit immer länger. Herausragendes Beispiel: TGM: Mi lenne a teendő? („Was wäre zu tun?“, Mérce, 4. 1. 201, https://merce.hu/2019/01/04/tgm-mi-lenne-a-teendo/

(17) TGM: a kommunizmus és a demokrácia összefügg, HVG, 5. 1. 2019 https://hvg.hu/itthon/20190105_Minel_inkabb_haragszik_annal_inkabb_hull_a_ho__tuntetesek_eloben/10/pp/74778


(18) MEBAL (https://hu.mebal.eu/), eng verbunden mit Attac Magyarország (https://www.attac.hu) sowie dem Ungarischen Sozialforum (https://mszfszk.hu/). Dessen Formation war auf der großen Demonstration in Budapest vom 5. Januar ganz am Schluß des Zuges zu sehen.

(19) Tamás Krausz ist Professor für russische Geschichte an der ELTE-Universität Budapest und Vorstand des Instituts für Osteuropäische Studien. Mitherausgeber der marxistischen Zeitschrift Eszmélet („Bewußtsein“). Im Jahre 2009 trat er spektakulär aus der Sozialistischen Partei Ungarns (MSzP) aus.

Seither Aktivist der MEBAL (Vereinigten Ungarischen Linken), Autor zahlreicher Publikationen u. a. über Lukács, über Lenin (das Buch wurde kürzlich auf Englisch übersetzt),  die Geschichte des Bolschewismus, aber auch über Antisemitismus

(20) Mátyás Benyik ist einer der treibenden Kräfte der MEBAL und zahlreicher nahestehender Organisationen, ist u. a. Präsident von Attac Ungarn. Die von Benyik mitgestalteten Treffen der ungarischen marxistischen Linken in Budapest, die erst seit einigen Jahren stattfinden, waren vorübergehend zu kleinen Brennpunkten der osteuropäischen Oppositionen geworden. Von diesen Brennpunkten haben sich allerdings radikale Kräfte aus Rußland, Griechenland und Polen inzwischen wieder verabschiedet, da neuerdings alles ganz nach dem Muster des Weltsozialforums abläuft. Benyik neigt sehr zum offiziellen europäischen und Weltsozialforum, hat darin eine „organische“ Rolle, wie Leo Gabriel und andere. Bei Benyik verbindet sich eine ungemein reiche Erfahrung im institutionalisierten politischen Leben schon im sozialistischen System (er war Wirtschaftsattaché in Syrien und in der Türkei) mit (in der Gegenwart unverminderter) organisatorischer Umtriebigkeit und einer reichen Produktion von Artikeln und Büchern (unter anderem über Verarmung).

(21) Attila Melegh, Professor an der Corvinus-Universität, früher Karl-Marx-Universität, die jetzt privatisiert wird. Eine fast schon unübersichtliche Zahl von Publikationen, besonders über Migration, angenehm temperamentvoller Redner.

Diese Anmerkungen entnehme ich meinen eigenen Fußnoten, die ich einem meiner Berichte über die nun jährlich stattfindenden mehrtägigen Treffen der marxistischen Linken entnommen sind: Treffen Budapest. Ortsveränderung, ReferentInnen, de.indymedia, 1. 3. 2018 https://de.indymedia.org/node/18468


Ausführlicher zu dem Jahrestreffen: AuO. Konferenz marxistischer und linker Parteien und Kräfte in Budapest, scharf links 24. 8. 2017

http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=61918&cHash=abae30a38a

Noch etwas ausführlicher (und kritischer) zum mittel- und osteuropäischen Sozialforum:

AuO: Ungarnspezifisches marxistisches Sozialforum in Budapest anfang März, de.indymedia, 22. 2. 2018 https://de.indymedia.org/node/18259,

dabei: Anhang, Materialien: Abschlußerklärung des Sozialforums Wroclaw (Final Declaration of the Social Forum in Wroclaw), englisch

(22) wörtlich: Partei des Zweischwänzigen Hundes, A Kétfarkú Kutya Párt, wobei „Kétfarkú Kutya“ appositiv zu verstehen ist, es heißt ja nicht Kutyapárt, die Version Zweischwänzige Hundepartei ist m. E. kürzer und griffiger und komischer; und ist nicht die Partei, wenn sie sich durch einen zweischwänzigen Hund auszeichnet, selbst als zweischwänzig aufzufassen?


Die Ankündigung, sie würden in Tapolca für und gegen das Sklavengesetz demonstrieren, findet sich auf ihrer eigenen Homepage: https://www.facebook.com/events/934502093413295


(23) Világszerte tüntetnek a kormány ellen, Népszava 5. 1. 2019


(24) Tamás Ungár: Pécsen (Pécsett?) is sötétség várta a demonstrálokat, Népszava 5. 1. 2019

(25) Új KezdetWiki), https://hu.wikipedia.org/wiki/%C3%9Aj_Kezdet#cite_note-2


(26) Újra itt van a nagy csapat, Demokrata, 13. 5. 2016, http://www.demokrata.hu/velemeny/ujra-itt-van-nagy-csapat

(27) Kovács Gergely: Lesz még néhány pár ezres tüntetés, aztán elül

Index, 4. 1. 2019 https://index.hu/belfold/2019/01/04/mkkp_kovacs_interju/

(28) Hosszú az út az általános sztrájkig Nyomtass te is! 30. 1. 2019

http://nyomtassteis.hu/wp-content/uploads/2019/01/nyomtassteis-80szam.pdf (zu Nyomtass te is: siehe (30))


(29) Wie etwa Essensmarken, Wohnbeihilfe etc.


(30) Dies faßt – wie andere Organe! - die Postille Nyomtass te is („Druck´s auch Du aus!“) zusammen, die in gedrängtester Form, für ein breites Publikum bestimmt, das aktuellste Politische berichtet. Sie stellt im Internet eine bereits hübsch layoutierte Version zur Verfügung und fordert die Leute auf, das selbst auszudrucken Auf Demonstrationen verteilen sie aber auch kostenlos ihre eigenen Ausdrucke. Zum Zeitpunkt 8. 1. 2019 erschien die 77. Ausgabe, aus der wir hier zitieren, und dies bereits im 3. Jahrgang


http://nyomtassteis.hu/wp-content/uploads/2019/01/nyomtassteis-77szam.pdf


Der Untertitel lautet: „Nachrichten, die bisher nicht alle erreichen konnten“

http://nyomtassteis.hu/


(31) Nyomtass Te is! Az Ellenzék petíciója: Le a rabszolgatörvényyel, le a propagandával! 5 követelés a szabadságért (“Die Petition der Opposition: Weg mit dem Sklavengesetz, weg mit der Propaganda! 5 Forderungen für die Freiheit“) 8. 1. 2019, S. 4

http://nyomtassteis.hu/wp-content/uploads/2019/01/nyomtassteis-77szam.pdf

(32) Diószegi-Horváth Nóra: Beintett a kormány a szakszervezeteknek: nem tárgyalnak érdemben a követelésekről, Mérce 14. 1. 2019 https://merce.hu/2019/01/14/beintett-a-kormany-a-szakszervezeteknek-nem-targyalnak-a-kovetelesekrol/

(33) Siehe u. a.: Europäische Regeln für die Arbeitszeit

http://www.eu-info.de/europa-punkt/politikbereiche/arbeitszeit/


Und: Arbeitsbedingungen – Arbeitszeitrichtlinie https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=706&intPageId=205&langId=de

Allein die Forderung nach einer „ Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden, alle Überstunden eingeschlossen“, also die Festschraubung - wenn man von einem Achtstunden-Tag ausgeht - eines jungen, eines alten Menschen auf eine Sechstagewoche, ist eine infame Provokation des europäischen Proletariats und der reinste Ausdruck des EU-Neoliberalismus.

Als ob es keinen Kampf für eine 35-Stunden-Woche gegeben hätte und gab! Würde man es gar auf eine 5-Tagewoche umrechnen, stünde ein 10-Stunden-Tag vor der Tür! Kurz läßt grüßen und lüpft sein Kapperl.

Eine solche EU ist dem Herrn Orbán sehr gelegen - der sich hiermit als treuer Diener des Machtgebildes erweist. Aber auch die bürgerliche Opposition Ungarns sollte ihre hündische EU-Ergebenheit hier ein wenig in Frage stellen und nicht immer die EU als Korrektiv gegen die inländische Gewaltherrschaft andienen. Wir hätten Dutzende Zitate der bürgerlichen Oppositionsparteien in Vorrat, wo sie die EU – beinahe drohend - rühmen, propagandamaschinell, als wären wir noch im Realen Sozialismus – der eine solche Propagandamaschine bereits kannte. Und viele von der MSZP kommen von daher.

Noch ausführlicher und prägnanter: Europäische Regeln für die Arbeitszeit: Wie regelt die Europäische Union die Arbeitszeiten? EU-Info Deutschland, http://www.eu-info.de/europa-punkt/politikbereiche/arbeitszeit/

Darin steht unter anderem, daß man 7 Tage an einem Stück arbeiten „darf“. Und es stehen auch noch zahlreiche arbeitgeberfreundliche Ausnahmen von der generösen Regelung drinnen.

(34) http://www.pdsz.hu/cikk/37365, 12. 1. 2019

(35) PDSZ: több ágazatban is sztrájkbizottság alakulhat, ATV, 14. 1. 2019 http://www.atv.hu/belfold/20190114-pdsz-tobb-agazatban-is-sztrajkbizottsag-alakulhat


(36) MKKSZ Magyar Köztisztviselők, Közalkalmazottak és Közszolgálati Dolgozók Szakszervezete (Gewerkschaft für Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst)

https://www.mkksz.org.hu/

Vgl. auch auf deutsch: Ungarn: Streik im öffentlichen Dienst angekündigt, Balaton-Zeitung 18. 1. 2019 https://www.balaton-zeitung.info/.../ungarn-streik-im-oeffentlichen-dienst-angekuendigt/

(37) Ábrahám Kiss Soma: Boross Péterné: be a szervezetbe! Mérce 19. 1. 2019

https://merce.hu/pp/2019/01/19/kozel-60-helyen-tuntetnek-a-rabszolgatorveny-es-a-kormany-politikaja-ellen-percrol-percre-a-mercen/boross-peterne-be-a-szervezetbe/

(38) Újra sztrájk az Audinál, Népszava, 24. 1. 2019